INDIANER INUIT: THE NORTH AMERICA FILM FESTIVAL 2004
Interviews

mit dem Direktor des American Indian Film Institute & Festival in San Francisco und der kanadischen Mohawk-Schauspielerin Alex Rice anlässlich des Filmfestivals 2004.

Zürcher Tagesanzeiger, Kultur, 27.11. 2004
Aufgezeichnet von Florian Keller:

Michael Smith, Förderer des IndianerfilmsMichael Smith, Förderer des Indianerfilms

„Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als im Kino und im Fernsehen kaum positive Darstellungen von Native Americans zu sehen waren. Zwar gabs hin und wieder Indianer im Western, aber die verkörperten dort meist nur Hindernisse für den westlichen Fortschrittglauben. Außerdem wurden sie meist von Weißen mit schwarzer Perücke und Schminke im Gesicht gespielt.

Im Jahr 1972 kam dann ein Film, der in dieser Hinsicht einen Wendepunkt darstellte: Das war Arthur Penns „Little Big Man“ mit Dustin Hofmann und Chief Dan George, wo ich erstmals ein aufbauendes Bild von einem Indianer vermittelt bekam, der auch von einem Indianer gespielt wurde und der einigen Witz versprühte. Das war der erste kommerzielle Film, der einem großen Publikum vor Augen führte, wie falsch die landläufigen Bilder waren, die man sich in Amerika vom Leben der Indianer machte.

In jener Zeit entstand die Idee zu unserem Native American Film Festival, indem wir uns fragten: Was sind das eigentlich für Vorstellungen, die über uns zirkulieren, und wie können wir unserer Jugend positive Bilder ihrer kulturellen Identität vermitteln?

Es war damals gar nicht einfach, entsprechende Filme aufzutreiben, aber im Jahr 1975 hatten wir erstmals ein Programm beisammen. Jenes erste Festival war eigentlich als einmaliges Ereignis geplant, inzwischen besteht es schon seit 29 Jahren. Bis in die 1970er-Jahre gabs fast keine indianischen Filmemacher. Als die ersten jungen Native Americans auf die Universitäten gingen, studierten sie eben Recht oder machten medizinische Ausbildungen; die gingen nicht an die Uni, um Filme zu machen oder in die Medienbranche einzusteigen.

Das hat sich erst langsam gewandelt. Allerdings ist es seither nicht einfacher geworden, Filme zu finanzieren. Zum Beispiel hatten wir dieses Jahr einen Erstling im Programm, der mit einem Budget von 17000 Dollar gedreht wurde. Der Regisseur sagte sich: Ich kann mir entweder ein neues Auto kaufen oder einen Film drehen.

Er hat sich für den Film entschieden, und wir vom American Indian Film Institute sind da, um solche Leute zu ermutigen. Leider bleiben viele dieser Filme weit gehend unsichtbar, weil sie nur auf Festivals gezeigt werden. Und einer wie Chris Eyre, der mit „Smoke Signals“ einen internationalen Erfolg hatte, wird dann seinerseits schubladisiert als Regisseur für indianische Themen. Als ob Chris Eyre nicht genug Talent hätte, um auch bei grossen Filmen Regie zu führen, die damit vielleicht nichts zu tun haben…

Im kommerziellen Kino wirken leider immer noch viele der alten Bilder nach. Es ist schon frustrierend, wenn ein Regisseur wie Ron Howard dieses Klischee in „The Missing“ wieder auf die Leinwand bringt. Leider aber ist so ein Film für indianische Schauspieler eine gute Arbeitsgelegenheit und ein Schaufenster, um ihr Talent unter Beweis zu stellen. Es ist traurig, aber mancher Schrott, der produziert wird, bietet eben doch ein anständiges Einkommen.

Oder dann gabs „Hidalgo“, wo Viggo Mortensen einen Halbindianer spielt. Wir haben diesen Film in unser Programm aufgenommen und gemerkt: In den offiziellen Informationen von Touchstone Pictures und Disney wurden die indianischen Aspekte der Story mit keinem Wort erwähnt! Da spielt ein großer Star in einer großen Hollywoodproduktion eine Figur mit indianischem Hintergrund, aber der Film wird einfach als Geschichte über einen Weißen in Saudi Arabien verkauft. Das ist doch seltsam, oder?

Stuttgarter Zeitung, Politik, 22.November 2004

Die Indianer Michael Smith und Alex Rice über ihre Situation in Kanada und in den USA

Am Rande des ersten Indianer-Filmfestivals in Stuttgart haben Rupert Koppold und Michael Weißenborn mit Michael Smith und Alex Rice über Probleme und Hoffnungen gesprochen. Die Indianer erringen wirtschaftliche Erfolge und verbessern ihre Bildungslage.

Gibt es eine indianische Rennaissance?

Rice: Die Mohawk sind ein souveränes Volk, haben heute mehr gebildete Leute, und wir können uns in Kahnawake in Quebec, wo ich herkomme, über Politik in unseren eigenen Medien informieren. Wir verteidigen unsere Rechte und unsere Identität und wollen, dass die Regierung diese Rechte und die mit uns geschlossenen Verträge anerkennt.

Michael SmithSmith: Die indianischen Gemeinschaften in den USA erleben eine grosse Renaissance. Der National Congress of American Indians – die älteste indianische Bürgerrechtsbewegung Amerikas – wächst und hat wegen des Wohlstands einiger Stämme mehr Einfluss. Einige der wohlhabendsten Stämme leben etwa in Kalifornien und können dort die Politik beeinflussen. Aber Stammesgruppen wachsen überall in Amerika; sie kümmern sich stärker um ihre eigene Krankenversorgung und Polizei. In anderen Teilen des indianischen Amerika aber herrscht noch immer viel Armut.

In meinem Lakota-Reservat in Montana liegt die Arbeitslosigkeit bei 70 Prozent. Ein Spielkasino können wir nicht betreiben, weil wir in der Nordostecke Montanas viel zu weit weg von allem sind. Der Eindruck, dass es allen Stämmen gut geht ist falsch. Sie haben 1969 die Gefängnisinsel Alcatraz besetzt. 1973 gab es die Belagerung von Wounde Knee.

Braucht man solche spektakulären Aktionen heute nicht mehr?

Smith: Die Aufmerksamkeit der Medien wird immer noch gebraucht. Ich war noch ein High-School-Schüler und stieß zum besetzten Alcatraz dazu. Ich gehörte zu denjenigen, die sich zu dieser Aktion hingezogen fühlten. Auch Wounded Knee war symbolisch. Es berührte die Flamme vieler Indianer und war der Ursprung für das innere Wachstum der Native People. Aus den Plänen für Alcatraz, das Kulturzentrum, wurde aber nichts.

Rice: 1990 standen sich meine Gemeinde Kahnawake und die Sicherheitskräfte 78 Tage lang bewaffnet gegenüber, um den Ausbau eines Golfplatzes auf unserem Land, das auch ein alter Bestattungsort ist, zu stoppen. Die kanadische Regierung schickte Polizei und Soldaten. Wir haben das Land immer noch. Unser Anspruch ist aber noch nicht anerkannt. Die Aktion schweißte die Indianer in ganz Kanada zusammen.

Wissen Mohawk und Lakota etwas über die Kultur des anderen?

Rice: Als Schauspielerin habe ich andere Traditionen kennen gelernt. Unsere Sprachen und Lieder sind verschieden, aber unsere Grundüberzeugungen als Völker sind ähnlich. Wir haben deshalb eine Art Basisverständnis vom anderen.

Wie unterscheidet sich die Lage der Indianer in Kanada von der in der USA?

Rice: Kanadas Indianer haben besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung und Kulturprogrammen. In den USA muss man härter um Geld für Schulen und Filmprojekte kämpfen. Der Rassismus ist aber in Kanada genauso stark. In Quebec wollen die Frankokanadier ihre Nation in unserer Nation schaffen. Aber viel von dem Land, mit dem sie unabhängig werden wollen, gehört uns.

Smith: In den USA leben mehr als 65 Prozent der Indianer in städtischen Gegenden. Sie haben kaum Zugang zu den Sozialprogrammen der Reservate. Eine Menge Indianer leben in der zweiten, dritten Generation in den Städten. Ihre Kinder haben in andere ethnische Gruppen eingeheiratet. Sie kommen nicht in den Genuss der Unterstützung, die wir angeblich erhalten, weil sie keine eingetragenen Mitglieder eines Volkes sind.

Wie bestimmt man, wer ein Indianer ist?

Smith: Da hat jeder Stamm seine eigenen Regeln. Für die Regierung muss man mindestens zu einem Viertel Indianer sein.

Schmerzt es, dass im Fernsehen immer noch die alten Western laufen?

Smith: Als mit dem Siegeszug des Kabelfernsehens Ende der 80er Jahre neuen Zuschauern die alten Filme gezeigt wurden, die in den 70ern verschwanden, hat das schon wehgetan. Die Stereotypen – das Wagenverbrennen, das Hindernis für die gottergebene Landnahme – hat einer neuen Generation geschadet.

Hilft ihnen die Filmkunst, mit ihren Traditionen in Kontakt zu bleiben?

Rice: Die Kunst ermöglicht es mir, meine alte Kultur mit meinem Leben heute zu vereinen. Für meine Rollen bringe ich ein Gefühl für meine Traditionen mit und dafür, wer ich bin und wer mein Volk ist. Als Indianer leben wir in unserer Vergangenheit und in der Gegenwart. Wir können in Ihrer Welt leben, aber wir kennen unsere Wurzeln. Die meisten Leute wissen nichts über uns. In den Filmen aus Hollywood existieren wir ausschließlich als Indianer, die Ärger machen. Wir sind unsichtbar, und in den Wohnzimmern wird so getan, als ob wir ausgelöscht seien. Hollywood ist gar nicht daran interessiert, etwas über uns zu wissen.

Fotos
1. Cindy Spencer, Michael Smith (Foto: Dr. Sonja Schierle)
2. Gunter Lange, Tamara Podemski (Foto: Dr. Sonja Schierle)
3. Crew Stuttgart (Foto: Siegfried J. Gragnato)
4. Michael Smith (Foto: Gunter Lange)
5. Anette Ruckwied, Alex Rice (Foto: Dr. Sonja Schierle)