INDIANER INUIT: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL
Filmfestival 2014 Rückblick
Unter dem Motto „No More Silence“ präsentierte das in Europa einzigartige INDIANER INUIT: DAS NORDAMERIKA FILMESTIVAL vom 23.- 26. Januar 2014 insgesamt 45 Filme mit und über Indianer jenseits aller Western- oder Hollywood-Klischees. Die Veranstaltung, welche im Stuttgarter TREFFPUNKT Rotebühlplatz stattfand, bot nicht nur einen umfassenden Einblick in das heutige indianische Filmschaffen, sondern auch in die gegenwärtige Situation der indigenen Völker Nordamerikas. Die Schattenseiten kamen dabei ebenso zum Ausdruck wie der entschlossene Wille, die eigene Kultur und Souveränität zu verteidigen.
Zum ersten Mal seit der Gründung des Festivals 2004 wurden Preise in den Kategorien: Kinderfilm, Spielfilm, Dokumentation und Musikvideo vergeben. Der SWR berichtete darüber in der Landesschau. Für den UNICEF-Kinderfilmpreis hatten sich die Kinder der Klasse 4D der Reisachschule als Jury betätigt. Sie prämierten den Film „Schule der Inuit“ der deutschen Filmemacherin Ilka Franzmann und waren natürlich bei der Preisverleihung selber anwesend. Gemeinsam mit der US-amerikanischen Schauspielerin Tonantzin Carmelo, die als UNICEF-Repräsentantin nach Stuttgart anreiste, überreichten die Klassensprecher Ilka Franzmann die begehrte Skulptur, eine Urkunde und das Preisgeld von 500 Euro.
Preise und Auszeichnungen:
- Auszeichnung für ihr Lebenswerk „Life Achievement Award“: Alanis Obomsawin, Regisseurin aus Montreal
- Bester Spielfilm: „Shouting Secrets“, Regie: Korinna Sehringer, CH/USA 2011
- Bester Dokumentarfilm: „Into America“, Regie: Nadine Zacharias, Deutschland 2012
- Bester Kinderfilm (UNICEF-PREIS): „Die Schule der Inuit, Regie: Ilka Franzmann, Deutschland 2002
- Bestes Musikvideo: „Good Boy“, Regie: Wab Kinew & Winnipeg North End Art Youth Centre, Kanada 2012
In seiner Eröffnungsrede und im Beisein des US Generalkonsuls Kevin Milas sowie des kanadischen Konsuls Prof. Dr. Reith, betonte der Kurator des Festivals, Gunter Lange, dass das diesjährige Motto „No More Silence“ sich nicht nur auf das Medium Film, sondern auch auf die politische Bewegung „Idle No More“ bezieht. Von vier Indianerinnen gegründet, formierte sich die Bewegung im Dezember 2012 in Kanada, ausgelöst durch zwei Gesetzesvorhaben der kanadischen Regierung, welche nicht nur gravierend in die Rechte der Indigenen eingreifen, sondern auch den Umweltschutz weitgehend aushebeln.
„Idle No More“ war aber auch eine Reaktion auf die verheerenden Zustände in den Reservaten, die von teilweise katastrophalen Wohnverhältnissen, mangelndem Trinkwasser, fehlender Infrastruktur und sozialen Problemen wie Armut, Alkoholismus oder überdurchschnittlichen Selbstmordraten geprägt sind. Ein typisches Beispiel hierfür sind die Attawapiskat im Norden Ontarios, deren desolate Situation 2012 für Schlagzeilen sorgte. Bereits vor zwei Jahren zeigte das Indianer Inuit Filmfestival eine kurze Dokumentation über ihren Kampf um Selbstbestimmung. Dieses Jahr waren gleich zwei Dokumentationen zu diesem Thema im Rahmen der Retrospektive von Alanis Obomsawin zu sehen. Die 81jährige Abenaki-Indianerin aus Montreal war Ehrengast des Festivals und reiste persönlich nach Stuttgart, um den Preis für ihr Lebenswerk entgegenzunehmen und ihr Filmschaffen aus über fünf Jahrzehnten zu präsentieren. Obomsawin ist eine Vorreiterin des indigenen Films in Nordamerika, die sich vor allem zu Beginn ihrer Karriere gegen alle Widerstände als Frau und als Indigene behaupten musste.
Bereits ihr erstes Werk „Christmas at Moose Factory“ von 1971 galt den Themen, um die ihre Filme immer wieder ranken: Geschichte, Bildung und eine Zukunft für die Jugend. Ihr jüngster Film „Hi Ho Mistahey“ aus dem vergangenen Jahr ist eine Würdigung der Attawapiskat- Indianerin Shannen Koostachin, die sich für gleiche Bildungschancen für Indianer engagierte, denn bis heute hinkt das Bildungsniveau in den indianischen Schulen dem kanadischen Durchschnitt Jahre hinterher. Indianische Schulen erhalten deutlich weniger Finanzmittel als staatliche Schulen. Es gibt kein Geld für Bibliotheken, Computer oder Sprachkurse, mitunter nicht einmal für beheizte Schulräume. Die offizielle Geschichtsschreibung, so Obomsawin, verschweige noch immer die Folgen des Kolonialismus. Ihre Auszeichnung beim Stuttgarter Filmfestival versteht sie daher nicht nur als persönliche Anerkennung, sondern vor allem als Würdigung der Indigenen in ihren Filmen. Ihr Motto sei: „Wir können nicht auf die Regierung warten, wir müssen selbst handeln.“
Das Festivalprogramm reichte von Dokumentationen wie „Maria Tallchief“ (Osage) über die gleichnamige jüngst verstorbene erste US-Primaballerina (Regie: Sandra Sunrising Osawa, USA 2010) über den Mystery-Thriller „Imprint“ (Regie: Michael Lynn, USA 2007) bis zur Komödie „Mohawk Midnight Runners“ (Regie: Zoe Leigh Hopkins, Kanada 2013). Darüber hinaus gab es Musikvideos, in Kooperation mit UNICEF ein Schulfilmprogramm, Experimental- und witzige Kurzfilme.
Die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm erhielt Nadine Zacharias für „Into America – The Ancestor’s Land“ (Deutschland 2012). Darin begleitet sie den Navajo Angelo Baca und dessen Großmutter auf ihrer Fahrt ins Land der Vorfahren. Während der junge Akademiker zwischen der indigenen und der „weißen“ Welt pendelt, weigert sich seine Großmutter, Englisch zu sprechen. Ein einfühlsamer, unprätentiöser Roadtrip von Seattle bis ins Navajo-Reservat. Die Fahrt quer durchs Land gleicht einer Reise durch die amerikanische Geschichte und zeigt die Spuren und Narben, die die „weiße“ Besiedlung im indigenen Amerika hinterlassen hat, sowie die Vielfalt der indigenen Kulturen.
Die Familie steht im Zentrum des Dramas „Shouting Secrets“ (USA 2011) der Schweizerin Korinna Sehringer, das schon mehrfach ausgezeichnet wurde und in Stuttgart ein weiteres Mal den Preis für den besten Spielfilm erhielt. Der Film handelt nicht nur vom indianischen Alltag, sondern kreist um universelle Fragen. Der vierzigste Hochzeitstag von Cal und June soll die Familie zu einem Fest in der San Carlos Apache Reservation in Arizona vereinen, allerdings sind die Beziehungen längst von Entfremdung, Misstrauen, Wut und Ängsten zerrüttet. Ihr Sohn, der die Brüche seiner Familiengeschichte in einem erfolgreichen Roman verarbeitet hat, kehrt für die Feierlichkeiten nach neun Jahren erstmals ins Reservat zurück, aber noch vor seiner Ankunft erleidet seine Mutter einen Schlaganfall. Statt an der Festtafel versammeln sich die Familienmitglieder nun am Krankenbett. Alte Konflikte brechen auf, doch der Tod der Mutter beendet diese Kämpfe.
Der Eskimo-Schamane Angaangaq eröffnete das Filmfestival mit einem gesungenen Gebet und begleitete den Film Bridgewalkers. Auftakt war tags zuvor im Linden-Museum mit der kanadischen A-capella Gruppe M’Girl im Linden-Museum, deren Konzert nahezu ausverkauft war. Der kanadische Autor Richard Van Camp hielt am Dienstag eine Lesung. Zwei seiner Bücher sind übrigens auch auf Deutsch erschienen, „Dreckige Engel“ und „Die ohne Segen sind“. Letzteres wurde von Ulrich Plenzdorf übersetzt und unter dem Titel „The Lesser Blessed“ im Rahmen des Festivals präsentiert. Eine der Hauptdarstellerinnen, Tamara Podemski, kam aus ihren neuen Wohnort London angereist und brachte, wie auch schon bei ihren Besuch auf dem Filmfestival 2004, ihre Trommel mit.
Helen Callahasen, Direktorin des Dreamspeakers Filmfestival in Edmonton / Kanada, ihr Mann Ron Harrison und Sophie Gergaud, die Leiterin des französischen Filmfestivals De La Plume A L’Ecran waren ebenfalls zu Gast in Stuttgart. Sie wunderten etwas sich über die durchweg hohen Besucherzahlen.
Melissa Henry, Navajo-Filmemacherin aus New Mexiko, zeigte zwei Kinderfilme, die das Leben einmal aus der Sicht eines Hundes und eines Pferdes zeigen. Für ihr nächstes Filmprojekt lässt sie ihre Katze in den Weltraum fliegen. Zudem war sie eifrig in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs, um ihr kleines blaues Plastikpferd an markanten und interessanten Orten zu fotografieren.
Im Foyer konnte man die neueste Ausgabe des Computerspiels „Evolution: Indian Hunter“ ausprobieren, das die deutsche Softwareschmiede Scorpius Forge entworfen hat. Es hat einen hohen Standard was Grafik und Detailtreue und Faktenrecherche angeht. Unter anderem arbeitete man mit einem Lakota-Sprecher zusammen, der die Dialoge in der Lakota-Sprache einsprach.
Mit Claus Biegert, Nadine Zacharias, Korinna Sehringer, Peter und Sylvia Stracke, Petra und Joachim Hauter, Cyril Morin und Sophie Gergaud waren europäische FilmemacherInnen mit dabei und stellten ihre Produktionen über indianische Themen vor. Cyril Morin präsentierte sein auf die Besetzung von Wounded Knee 1973 angelehntes Gefängnis-Drama „The Activist“. Petra und Joachim Hauter zeigten erstmalig ihre Dokumentation „EQQUISINEQ: WALK IN PEACE ON MOTHER EARTH“, eine Dokumentation, in der verschiedene indigene und nicht-indigene Künstler, spirituelle Führer und Älteste zu Wort kommen.
Es war ein insgesamt gelungenes Festival, das mit einem hervorragenden Filmprogramm aufwarten konnte, mit interessanten Gästen und auch von der Organisation her dem gestiegenen Interesse Rechnung tragen konnte.
Gunter Lange, 2014
Stimmen zum Festival
My dear friends, thank you so so much for a wonderful visit… Holy cow that was fun… Congratulations to a wonderful opening and first night!!! Danke! (Richard Van Camp, Schriftsteller und Drehbuchautor)
I wish to thank and applaud you for such a success of BridgeWalkers screening in Stuttgart. What a blessing to have you both supporting this important film as it goes out to the world.
! Heart to Heart (Kara Rhodes, Produzentin und Filmemacherin, LA)
U.S. Consulate General Frankfurt wrote: „Congratulations!! We enjoyed our time with you tremendously and wish you all the best! Way to go, Gunter Lange and team!!“ THANK YOU ALL FOR YOUR HARD WORK, YOUR ENTHUSIASM, AND DEDICATION TO FRIENDSHIP AND MUTUAL UNDERSTANDING! Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll; ich bin noch ganz durcheinander, aber sehr glücklich. Ich möchte mich nochmals ganz herzlich bei Euch für diese wunderschöne Auszeichnung bedanken. Und dann kam Sie auch noch genau im richtigen Moment – völlig unverhofft – ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet. Die Filmpreis-Skulptur ist ganz wunderbar gestaltet – wirklich zauberhaft…
Ihr habt neben ganz tollen Filmen, auch ein wunderbares Rahmenprogramm zusammengestellt, und als Gastgeber habt ihr dem Festival viel Wärme und Menschlichkeit verliehen. Chapeau! …. (Nadine Zacharias, Filmemacherin)
Happy that the German audiences appreciated Shoutingsecrets Movie as well. We won Best Feature. Thank you Gunter Lange and your wonderful team for all your hard work and passion creating this festival. We had a wonderful time! — with Tonantzin Carmelo and Tyler Christopher at VHS Stuttgart. It was an amazing screening! So much laughter, tears and emotions! And so much great feedback from a wonderful audience (Korinna Sehringer, Filmemacherin und Prodzentin, LA)
It has been an incredible time! Trace Wei, Jenifer Makwa Brousseau and Patrick Wakefield – we are all honoured, grateful and thankful for the opportunity to not only share our music, but to make friends for life! Thank you Gunter! (Renae Morriseau, M`GIRL)
Allein für diesen Film hat sich die Anreise von Berlin nach Stuttgart gelohnt! Eigentlich würde er auch gut in die anstehende Berlinale passen und bräuchte keine Konkurrenz scheuen. Gratulation und Dank für dieses wunderbare Festival (Anke Bornschein, Festivalbesucherin)
Nach unserem Fototermin mit der wirklich sehr netten Ilka Franzmann mussten wir zur U-Bahn! Meine Klasse war wirklich begeistert und hat in diesem Projekt viele neue Erfahrungen gesammelt, außerhalb von Fach-Schulnoten…Ich übrigens auch!
Vielleicht ergibt sich mal wiederdie Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit unserer Schule?!
Es gibt auch schon viele positive Rückmeldungen von Elternseite, das ist schön!
Grüße aus Stuttgart (Irena Mohns, Klassenlehrerin, 4. Klasse, Reisachschule Stuttgart)
Das Festival war einfach Klasse!!! Wunderbare Filme; interessante Gäste; ihr habt ein tolle Arbeit geleistet und einen großen Schritt nach vorn gemacht. Wir haben uns sehr wohl gefühlt! (Manuela Saenger, Radio CORAX)