INDIANER INUIT: DAS NORDAMERIKA FILMFESTIVAL 2012
Presseschau

640-_DSC0131Indigene Projektionen
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1/2012 von AMERINDIAN RESEARCH erschienen

Das Nordamerika-Filmfestival vom 19.-22.1.2012 in Stuttgart
Für alle an der Kultur der nordamerikanischen Ureinwohner Interessierten dürfte im TREFFPUNKT Rotebühlplatz (vhs Stuttgart) etwas dabei gewesen sein: Über 50 aktuelle Filme zum Thema „Between Tradition and Multimedia Life“ wurden vom 19. bis 22. Januar 2012 innerhalb von vier Tagen auf die Leinwand des Robert-Bosch-Saals projiziert. Nicht weniger als zwölf geladene Gäste, darunter Regisseure, Produzenten, Drehbuchautoren und Protagonisten, gaben Auskunft über spannende Themen, mit denen sich die indigenen Bewohner Nordamerikas derzeit beschäftigen.

Diese Mischung aus interessiertem und engagiertem Publikum, kompetenten und begeisterten Filmemachern und Akteuren und ein hervorragendes Film- und Rahmenprogramm machen den Reiz dieser international hochwertigen und in Europa einzigartigen Veranstaltung aus.

Aus Polen, Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich und selbst aus Bulgarien, reisten Festivalbesucher an und ließen sich auch von den Unannehmlichkeiten des schlechten Wetters nicht davon abhalten, diese bereits zum vierten Mal stattfindende Veranstaltung zu besuchen. Die Förderung der Stadt Stuttgart, der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), sowie des DAZ, und auch die erhebliche Unterstützung einiger privater Spender hat das Festival erst möglich gemacht. Gemeinsam mit Partnern wie der VHS Stuttgart, dem Linden-Museum, dem Deutsch-Amerikanischen Zentrum (DAZ), der Konrad-Adenauer-Stiftung, der UNICEF-Arbeitsgruppe Stuttgart sowie der Universität Konstanz, hat der künstlerische Leiter Gunter Lange aus Konstanz zwei Jahre lang das Festival vorbereitet. Die Idee dazu kam ihm bei seiner Mitarbeit beim American Indian Film Institute & Festival (AIFI/AIFF) San Francisco, wo er die Ehre hatte, von 1999 bis 2001 als erster Europäer mitwirken zu dürfen. Das renommierteste Festival für indigene Filme in Nordamerika zeigt seit 1975 die besten aktuellen Filmproduktionen und bestätigt damit, dass die indigenen Medienschaffenden in Nordamerika aktiv zum kulturellen Filmgeschehen beitragen und sich nicht mit den gängigen Hollywoodklischees über Indianer zufriedengeben.

640-IMG_1226Das kam etwa in den Beiträgen „Blue In The Face“, „Hollywood Indians“ und „Reel Injun“ zum Ausdruck, die sich mit den entmenschlichenden und immer noch häufigen Stereotypen über Indigene auseinandersetzten. Oder wussten Sie als Leser etwa, dass die Stirnbänder von Hollywood dazu eingesetzt wurden, um die Perücken der für gewöhnlich weißen Schauspieler besser zu befestigen und keineswegs zum traditionellen Outfit gehörten?

Lynn Salt, Regisseurin des Filmporträts über Dennis Banks, „A Good Day to Die“, teilte dem interessierten Stuttgarter Publikum mit, dass andererseits Indianer auch genau darüber Bescheid wissen, wie sie auftreten müssen, um überhaupt als Indigene wahrgenommen zu werden: Für bessere Pressewirksamkeit haben sie bei der Besetzung von Wounded Knee bewusst versucht so auszusehen, wie sich Weiße den „echten Indianer“ vorstellen. Damals war es ein nützlicher Trick, um sich die bitter nötige Aufmerksamkeit der Medien zu sichern.

Über Stereotypen wiederum klärte Angela Webb, die Regisseurin des Dokumentarfilms „Hearing Radmilla“ in einem Vortrag auf. Sie befasste sich dabei ganz bewusst mit Vorurteilen von Deutschen gegenüber Amerikanern und Weißen gegenüber den sogenannten Indianern. Indianer haben gegenüber Deutschen übrigens keine Vorurteile, nahm sie die Zuhörer auf die Schippe. Oder, etwa doch? Und stellt dabei Fragen wie: Trinken Deutsche immer leckeres Bier, essen leckeren Kuchen, Sauerkraut und laufen in Lederhosen herum?

Tom Jackson, bekannter kanadischer Sänger und Serien-TV-Schauspieler (Die Mounties von Lynx River, engl.: North of 60), reiste mit seiner Frau Alison an und gab Auskunft über den Film „Heimkehr nach Medicine River“, in dem er zusammen mit Graham Greene spielte. Er ließ es sich nicht nehmen, seine Fangemeinde mit Liedern von seiner neuen CD „I Will Bring You Near“ zu erfreuen. Dabei begleitete er sich selbst auf der Gitarre. Momentan schreibt er Lieder für ein Musical, das in London stattfinden soll, mit dem er aber nach Fertigstellung auch gerne nach Deutschland kommen würde, ließ er das Publikum wissen.

Dennis Banks war ein viel gefragter Gast auf dem Festival. Er reiste in Begleitung seiner Tochter Glenda Roberts an, Leech Lake-Reservation in Minnesota angestellt ist, wo auch ihr Vater lebt. Neben ihrer leitenden Tätigkeit im Kasino beschäftigt sie sich mit Fotografie und hilft ihrem Vater bei seinem Naturkostunternehmen. Wenn Dennis nicht gerade eine seiner vielfältigen Verpflichtungen nachkommt, kümmert er sich um seine Ahornsirup- und Wildreisproduktion „Beyond Organic“ – Mehr als Bio. Diesen Markennamen musste er sogar vor Gericht verteidigen, aber der Richter gab ihm recht. Der Begriff „Mehr als Bio“ ist dann erlaubt, wenn dem Produkt nichts hinzugefügt wird. Möglicherweise wird ja ein ähnliches Konzept demnächst auch Deutschland vermarktet.

640-0079Zusammen mit den Regisseuren Lynn Salt und David Mueller beantwortete der Menschenrechtsaktivist die zahlreichen Fragen zum Film „A Good Day to Die“, der seine Lebensgeschichte als Mitbegründer der AIM-Bewegung erzählt. Somit wurden auch die vielen konfrontativen Konflikte gezeigt, die die indianische Bewegung der 70er Jahre ausmachen und die wesentlich zu einer Verbesserung der rechtlichen und ökonomischen Situation der Indianer in den USA geführt hatten: die Besetzung von Alcatraz, der „Trail of Broken Treaties“ und die Besetzung von Wounded Knee 1973.

Der Film ist über Journeyman-Pictures erhältlich und enthält einiges bis dahin noch nicht veröffentlichtes Filmmaterial aus den 70er Jahren. Ebenso wie Tom Jackson, offenbarte auch Dennis Banks dem Publikum seine musikalische Ader und trug einige Lieder, begleitet vom Stuttgarter Gitarristen Ulrich Wedlich und von einer Trommelgruppe (nicht alle zur selben Zeit), vor. Sein Musiklehrer hatte ihm früh eine ausgeprägte Unmusikalität bescheinigt, musste dann allerdings Jahrzehnte später beim Anhören einer CD von Dennis Banks einsehen, dass es ein allzu vorschnelles Urteil war.

Angela Webb stellte ihre Dokumentation „Hearing Radmilla“ über das Leben der Sängerin und „Miss Navajo Nation“, Radmilla Cody, vor, die aus Flagstaff, Arizona, angereist war und bereits vor der Festivaleröffnung zu einem viel beachteten und gelungenen Konzert ins Linden-Museum einlud. Diese außergewöhnliche Sängerin zeigte ihre ganze Bandbreite ihres Könnens – von traditionellen Navajo-Liedern bis hin zu ungewöhnlichen Interpretationen moderner Musik – und wurde vom bemerkenswerten Gitarristen Ulrich Wedlich aus Stuttgart begleitet. „Hearing Radmilla“ erzählt von den Schwierigkeiten, sich als indianisch-afroamerikanische Frau in der Navajo-Gemeinschaft zu behaupten und als Mischling anerkannt zu werden und wie häusliche Gewalt zu einem Abgleiten in die Kriminalität führen kann und wie sie, ihre Familie und ihre Gemeinde diese überwältigenden Schwierigkeiten überwinden.

Dieses schwierige Thema traf genau den Nerv des Publikums. Angela Webb, die Regisseurin und Radmilla Cody, die Protagonistin des Films beteiligten die Zuschauer in einer lebendigen Diskussion über das Problem der häuslichen Gewalt, Rassismus innerhalb von Minderheiten und wie traditionelle Navajo-Werte bei der Auflösung der Konflikte helfen können. Erst auf Drängen der Hausmeister war das Publikum bereit den Saal zu verlassen. Radmilla Cody als auch Angela Webb sind bereits wiederum eingeladen, an einer Konstanzer Kulturwoche Anfang September teilzunehmen.

Weiterhin stellte die türkische Regisseurin Ece Soydam ihre Dokumentation „On the Trail of Sitting Bull“ vor, die im November 2011 zur „Best Documentary“ beim AIFF in San Francisco nominiert wurde. Ihre Dokumentation wurde auch deswegen gut aufgenommen, weil sie eine Ansicht zu Wort kommen ließ, die bis dahin in den Filmen nicht ausreichend repräsentiert wurde: eine kompetente Kritik an der Einwanderungstheorie über die Behringstraße, wie sie von eurozentristischen Kulturanthropologen vertreten wird.

Die schwedische Regisseurin Nana Dalunde aus Stockholm stellte dem Publikum mit ihrem Experimentalfilm „Apache Chronicle“ das Leben von fünf selbstbewussten, jungen Apachen-Frauen aus dem San-Carlos Reservat vor. Sie treten dabei als Teppichweberinnen, Dichterinnen, Skateboarderinnen, Künstlerinnen und Filmemacherinnen auf, die ihr Leben zwischen Tradition und Moderne bestens im Griff zu haben scheinen.

Im Rahmen einer Musikfilm-Matinee reiste der Filmemacher Guy Fay aus Paris an und präsentierte seinen Film „Indian Rezervation Blues“. Dieser Film porträtiert indigene Musikerinnen und Musiker in Kanada und den USA und gibt einen ausgezeichneten Einblick in deren vielseitiges musikalisches Schaffen. Mit ihrem Film „Skydancer“ über die furchtlosen Männer des Mohawk-Stammes, die in schwindelerregender Höhe die Stahlträger für die Wolkenkratzer zusammenbauen, beschloss dann die deutsche Regisseurin Katja Esson den bunten Reigen indigener Filme aus Nordamerika. Einige Hundert Besucher und Gäste nahmen die Chance wahr, an einen intensiven Kulturaustausch teilnehmen zu können, der mit dem „Best of the American Indian Film Festival San Francisco“ im nächsten Jahr seine Fortsetzung finden wird. Wir hoffen, Sie dort wieder begrüßen zu können.

Autoren: Norbert Mallik, Gunter Lange, Regina Mayer

Trailer 2012:

>> TV-report „Von wegen Winnetou“
>> Kurzinfo Filmfestival 2012 (Pdf)
>> Mara Stern im Interview mit Gunter Lange (2010, 7:58 min)
>> Mara Stern im Interview mit Filmemacherin Ece Soydam (Türkei) 2012

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